Dichterviertel Ulm

Lageplan

Städtebauliche Entwicklung Dichterviertel Nord, beschränkter Wettbewerb

Die Möglichkeit einer Insel

Die Stadt Ulm erfährt als bedeutendes Oberzentrum zwischen den Metropolregionen Stuttgart und München eine starke Wachstumsdynamik. Der Neubau der ICE-Strecke Stuttgart-Ulm hat nicht nur Auswirkungen auf die regionale Vernetzung, sondern fungiert auch als Motor für großmaßstäbliche, innerstädtische Entwicklungen. Im Rahmen des Projektes Citybahnhof ist eine Neuordnung des Hauptbahnhofs und des anschließenden Theaterviertels in Planung. In diesem Zusammenhang gelangt auch die “Rückseite” des Bahnhofs ins Blickfeld: das westlich an die Bahnanlagen anschließende Dichterviertel.

Das Dichterviertel liegt im gründerzeitlichen Erweiterungsring um die historische Innenstadt. Das Areal ist an allen Seiten von übergeordneten Verkehrsanlagen begrenzt: im Osten von den Gleisanlagen der Bahn, im Süden von der 4-spurigen Neuen Straße, im Westen vom 6-spurigen Hindenburgring und im Norden von der 4-spurigen Rampe zur Ludwig-Erhard-Brücke. Aufgrund der beengten Lage zwischen den Gleisen und den ehemaligen Befestigungsanlagen bzw. den heutigen Verkehrsanlagen entzog sich das Areal bisher der Vernetzung mit benachbarten Vierteln und entwickelte sich weitgehend unabhängig von der Logik des übrigen Stadtkörpers. Die Insellage förderte eine bau- und nutzungstypologische Heterogenität, die das Quartier deutlich von andereren Vierteln abhebt. Eine Collage unterschiedlicher Körnungen, Höhen, Dichten, Baustile und Programme prägt die Identität und Atmosphäre des Quartiers.struktur

Die Realisierung des Citybahnhofs wird die Lagebedingungen des Dichterviertels radikal verändern. Die geplante Durchbindung der Bahnhofsunterführung nach Westen verknüpft das Quartier künftig unmittelbar mit dem Hauptbahnhof und der Innenstadt. Nicht nur das Stadtzentrum wird greifbar, sondern auch vernetzte Pole wie Stuttgart und München. Das Dichterviertel rückt in ein Spannungsfeld zwischen lokal verankertem Quartier und überregionalem Knotenpunkt. Die Insel wird zu einem attraktiven Standort für Pendler und Studenten, Einheimische und Neuankömmlinge. Wie kann das Viertel dem neuen Bedarf entsprechend qualifiziert werden? Wie kann das Dichterviertel sinnvoll in den Stadtkontext eingebunden werden und gleichzeitig Alleinstellungsmerkmale gegenüber Altstadt, Theaterviertel und Gewerbegebiet ausprägen? Wie können die bestehenden Strukturenin sinnvollen Entwicklungsabschnitten nachverdichtet werden, ohne ihre spezifische Identität zu verlieren? Wie können vorgefunden Qualitäten in eine neue urbane Mischung übertragen werden?

Einbindung in den Stadtkontext

Im Umfeld des Dichterviertels kreuzen sich mehrere übergeordnete Grün- und Wegeverbindungen. Der Grünzug des Westglacis, der mehrfach durch Infrastrukturanlagen unterbrochen ist, wird durch die Neuordnung des Dichterviertels vervollständigt. Die „Blauschleife“ bildet eine neues Bindeglied aus, das übergeordnete Grünbezüge aufnimmt und diese auch ins Innere des Quartiers einführt. In Ost-West-Richtung wird die Grünverbindung in Blautal, durch den Ausbau von Rad- und Fußwegen entlang der Kleinen Blau und der Mörikestraße ausgebaut.Glacispark

Zur stärkeren stadträumlichen Vernetzung mit dem südlichen Teil des Dichterviertels wird die Goethestraße verlängert und durch einen neuen Steg über die Kleine Blau geführt. Mit der geplanten Unterführung erhält die Schillerstraße ein „Tor“ zum Hauptbahnhof, das das Dichterviertel mit der Innenstadt verknüpft.Einordnung

Entwicklungsabschnitte

Das Dichterviertel Nord ist gegenwärtig zu großen Teilen bebaut. Gegenüber dem Südteil weist das Wettbewerbsgebiet eine geringere Dichte, eine teilweise mangelhafte Bausubstanz oder Leerstand auf. Aus der Bewertung des Bestandes, der Verfügbarkeit bereits freier oder durch Abbruch von Bestandsbauten freiwerdender Flächen ergibt sich eine Einteilung in Entwicklungsabschnitte. Erste Sofortmaßnahmen werden unmittelbar vorgenommen, um brachliegende Flächen zugänglich zu machen und zu aktivieren. Der erste bauliche Realisierungsabschnitt umfasst den westlichen Abschluss des Viertels, die Brachfläche in der Quartiersmitte, sowie den Uferbereich nördlich der Kleinen Blau. Mit der Randbebauung zur B10 wird ein baulicher Lärmschutz geschaffen, der die Voraussetzung für die Entwicklung geschützter Wohnnutzungen innerhalb des Quartiers mit sich bringt. Die Struktur der öffentlichen Räume und insbesondere der Quartiersplätze wird in ihren Grundzügen definiert und setzt Impulse für die weitere Entwicklung.

realisierungDer zweite Realisierungabschnitt arrondiert den östlichen Bereich des Quartiers. Die Innenentwicklung wird fortgeführt und durch einen klaren räumliche Kante zur Schillerstrasse gerahmt. Die übrigen Baufelder sind weitgehend unabhängig von der zeitlichen Abfolge der beiden Hauptrealisierungsabschnitte. Diese „flexiblen“ Bausteine zeichnen sich gegenwärtig durch einen hohen Anteil an genutzten Bestandsbauten aus. Ihre Entwicklung setzt je nach Verhandlungsspielräumen und Raumbedarf parallel oder in größeren zeitlichen Abständen ein. Die Gesamtstruktur setzt sich aus unterschiedlichen Körnungen zusammen. Auf diese Weise können Bestandgebäude, die als wichtige, identitätsstiftende Anker erhalten bleiben, sinnvoll integriert werden. Die klare Fassung der öffentlichen Räume bildet ein resilientes Gerüst, das innerhalb der vorgeschlagenen Realisierungseinheiten auf zukünftige Enwicklungen reagieren kann.Freiraum

Entwurf

Freiraum: Die vorgeschlagene Bebauung besteht aus 5 Bausteinen, die einen klaren öffentlichen Raum abgrenzen. Der äusseren Ränder des Quartiers erhalten einen klaren räumlichen Abschluss. Im Westen springt die Neubauung zugunsten einer Aufweitung des Glacisparks zurück. Der Park schliesst durch eine ansteigende Wall an die Randbebauung an, um die Wohnnutzung von dem öffentlichen Bewegungsraum abzugrenzen.

Zum Schutz vor Lärm sind die Ränder weitgehend geschlossen ausgebildet. Eingänge ins Quariter befinden entlang der Kleinen Blau, von der Göthestraße durch den Neubau eines Stegs, sowie an der Mörikestraße und Kleiststraße. An zwei Stellen weiten sie die Eingänge ins Quartier zu trichterförmigen Plätzen auf. Die vorhandene Erschliessungstraße über Mörike- und Kleiststraße wird beibehalten und neu profiliert. Der Erschliessungsloop wird in Bereich der Quartiersmitte zu einem beruhigten Strassenraum transformiert, der die beiden Quartiersplätze als „shared-space“ verbindet. Der nördliche Quartiersplätz (Mörikeplatz) bietet Flächen für eine vielseitige Nutzung als Marktplatz, als Spielfläche oder als erweiterter Raum der Erdgeschossnutzungen wie Werkstätten und Cafés.

Der südliche Quartiersplatz (Zur Kleinen Blau) erhält darüber hinaus einen starken Bezug zum Ufer der Kleinen Blau. Hier schneidet sich eine Liegeweise in den Stadtplatz hinein, die bis zur Wasserkante heranreicht. Das besonnte Nordufer wird als öffentlicher Uferweg entlang der Kleinen Blau bis zur Schillerstrasse fortgeführt. Die aufgebrochene, kleinteilige Bebauungsstruktur, die sich zwischen den Quartiersrändern aufspannt lässt immer wieder Blicke in die gemeinschaftlichen, halbprivaten Höfe zu. Die Schwellen zwischen öffentlichen und privaten Räumen sind in Abhängigkeit der Wohntypologien differenziert gestaltet. Grenzen, Schwellen und Bezüge zwischen Innen und Aussen sind ein identitätsstiftendes Thema, das für die kleinste Einheit bis hin zur Lesart des Gesamtquartiers prägend ist.collage Quartierszentrum

Urbane Mischung

Die Eigenschaften der Bestandsbauten werden interpretiert und in eine innovative Mischung von Wohn- und Arbeitsformen übersetzt. Das Bild der urbanen Collage, das die heterogene Bau- und Nutzungsstruktur des Dichterviertels gegenwärtig produziert, wird durch die Setzung abwechslungsreiche Baukörper und innovative Nutzungskonstellationen weiterentwickelt. Die Bebauung begünstigt eine gute Anbindung an benachbarten Stadtviertel, bleibt durch seine spezifische Struktur jedoch als unverwechselbare Einheit im Stadtkörper lesbar. Die vorgeschlagene Neubebauung basiert auf modellhaften Haustypologien, deren Durchmischung zu einer räumlichen und programmatischen Differenzierung des Quartiers führt. Mit dem Ziel einer lebendigen Nachbarschaft und einer nachhaltigen sozialen Durchmischung werden für verschiedenste Zielgruppen Raumangebote geschaffen, die sowohl Individualität als auch Gemeinschaft fördern. Jede Typologie ist in enger Abhängigkeit ihrer spezifischen Standortbedingungen konzipiert.

Die äusseren Ränder des Quartiers erhalten durch eine 5-geschossige Bebauung (Wallhaus und Blockrand) einen klaren räumlichen Abschluss während sich in der Quartiersmitte ein Feld aus kleinteiligen Typologien (Hybrid und Pixel) aufspannt.

Entlang der Kleinen Blau nehmen die Gebäude einen Bezug zur Uferkante auf (Blauhöfe) und vermitteln durch Perforation und Geschossigkeit zwischen den Neubauten und der angrenzenden Bebauung des südlichen Dichterviertels.

Ein 10-geschossiger Hochpunkt an der nördlichen Spitze des Areals bildet das Pendant zum Universum-Center im Süden. Diese Geste führt zu einer neuen Präsenz des Areals im Stadtraum und fasst die beiden Teilbereiche zu einer räumlichen Einheit zusammen.collage Hochpunkt

für TH Treibhaus Landschaftsarchitektur Hamburg, (Gerko Schröder, Burkhard Köhler)

TELEINTERNETCAFE, Architektur und Urbanismus, (Manfred Eccli, Marius Gantert, Andreas Krauth, Urs Kumberger, Verena Schmidt)