Zukunftsbild Wattenmeer

Studie im Auftrag der Michel Otto Stiftung: Wattenmeerregion im Klimawandel

Was bedeutet es für die Wattenmeerregion, wenn der Meeresspiegel, wie prognostiziert ansteigt? Wie müssen sich Küstenschutz und Landschaft verändern damit diese einmalige Kultur- und Naturlandschaft erhalten bleiben kann? Dazu hat die Michael Otto Stiftung im Rahmen eines langjährigen Dialogprozesses ein Zukunftsbild erarbeitet, das eine integrierte Strategie aufzeigt wie sich die Wattenmeerregion den klimatischen Herausforderungen stellen kann. Es ist ein Zukunftsszenario von dem die Natur, der Küstenschutz, die Bewohner, das Landschaftsbild, die touristische und wirtschaftliche Entwicklung gleichermaßen profitieren können.

Die Wattenmeerregion im Klimawandel

Eine integrierte Strategie für die nachhaltige Entwicklung der Region muss weit über eine Küstenschutz- oder Naturschutzstrategie hinausgehen. Angesichts des steigenden Meerespiegels darf nicht nur die Deichlinie verstärkt werden, sondern die gesamte Raumentwicklung vor und hinter dem Deich muss im Zusammenhang gedacht und angepasst werden. Das Szenario einer Befestigung und Erhöhung der Deiche, hin zu einem monströsen und starren Bauwerk würde nicht nur verheerende Folgen bei einem Deichbruch nach sich ziehen, es ginge auch der visuelle und physische Bezug zum Meer verloren. Es bedarf in Zukunft flexibler Landschaften, die mit den Auswirkungen veränderter klimatischer Bedingungen umgehen können und dabei die spezifische Identität der Küstenregion als einmalige Natur- und Kulturlandschaft erhalten. 


Das Wattenmeer als natürliche Pufferzone.

Das Wattenmeer bildet heute mit seinen naturräumlichen Gegebenheiten bestehend aus Inseln, Halligen, Sandbänken, Schlickflächen, Prielen und Salzwiesen einen räumlich mehrfach gestaffelten Schutz für die Menschen. Bei Sturmfluten laufen die gewaltigen Kräfte des Meeres sich auf den weiten, flachen Flächen aus. Das Wattenmeer wirkt als Pufferzone, welche die Kräfte des auflaufenden Wassers lindert und somit eine natürliche Schutzlandschaft für Inseln und Deichbauwerke darstellt. 

Das Wattenmeer droht zu versinken.

Mit ansteigendem Meeresspiegel ist das Watt auch bei Niedrigwasser ständig von Wasser bedeckt. Die ‚amphibische’ Landschaft mit ihrem einmaligen Charme und ihrer Artenvielfalt verschwindet unter dem Wasser. Der Druck auf die Deiche wächst und hinzu kommt eine erhebliche Bodensenkung in der Marsch durch die stetige Entwässerung des Deichhinterlandes. Das Meer steigt an, das Land sinkt ab. Das Wasser aus dem Hinterland in das Meer zu pumpen wird technisch aufwendiger und kostspieliger, die Folgen bei einem Deichbruch auf Grund des Höhenunterschieds wären katastrophal. Die Deiche müssten nicht nur erhöht, sondern auch stark befestigt und verbreitert werden. Die Küste würde zu einem Bollwerk gegen die See. 

Wachsen mit dem Meer und mehr Raum für das Meer.

Das bedeutet, dass mit steigendem Meeresspiegel auch das Wattenmeer mit in die Höhe wachsen muss, damit es als Zone zwischen Wasser und Land weiterhin seine natürliche Schutzfunktion behält und als Lebensraum für Pflanzen und Tiere erhalten bleibt. Die Sedimentbilanz, die durch den Meeresspiegelanstieg aus dem Gleichgewicht geraten ist, muss aktiv durch eine Zufuhr korrigiert werden. Gleichzeitig muss die Deichlinie als starre Trennung zwischen Meer und Land zugunsten einer flexiblen Zone aufgelöst werden. Diese wirkt sowohl als gestaffelter Schutzraum bei Sturmfluten wie auch als Pufferzone, die den steigenden Fluten des Meeres mehr Raum bietet. 

Neue Raumeinheiten zwischen Land und Meer

Die Anpassungsstrategie – dem Meer wieder mehr Raum zu geben und die Inseln, das Watt und die Küste mit dem ansteigenden Meeresspiegel wachsen zu lassen, erfordert eine räumliche Neuordnung der Küstenregion. Das Zukunftsbild Wattenmeer zeichnet ein Bild einer aus mehrfach gestaffelten Küstenschutzzonen aufgebauten Küste als Klimapuffer, die aus drei charakteristischen Raumeinheiten besteht: Den bekannten und durch die Deichlinie klar getrennten Landschaftseinheiten – dem Wattenmeer und der Marsch – wird eine weitere Landschaft hinzugefügt: „das flexible Lagunenland“. Dieses bildet eine Zone, die zwischen dem „dynamischen Wattenland“ und dem „regulierten Marschenlandschaft“ vermittelt und den Übergang fließender gestaltet. 

Da das dynamische Wattenland durch den schnellen Meereswasserspiegelanstieg besonders gefährdet ist müssen wir zum Ausgleich des entstehenden Sedimentdefizits Sand vom Grund der Nordsee ausleihen. Dieser wird mit Baggerschiffen gefördert und in das Wattenmeer transportiert – eine Technik die schon an vielen Orten an der Nordsee, z.B. Sylt angewandt wird. Durch die Sandvorspülungen und die Verlagerung des Sandes mit Hilfe von Strömung und Wind entstehen Sandnehrungen und Sandbänke. Der natürliche Transport des Sandes von der Seeseite auf die Wattseite durch das Überspülen der Inseln und die Entstehung von Wanderdünen soll wo immer möglich gefördert werden. Auch dann wenn Dünen die Straße kreuzen – diese könnten mit einem Tunnel überdacht werden um die Düne passieren zu lassen.  

Das Flexible Lagunenland bildet eine neue geschaffene Schutzlandschaft zwischen Hauptdeichlinie und reaktivierter alter ‚schlafender’ Deichlinie bzw. neuer Deichlinie im Hinterland. Es reagiert ‚flexibel’ auf den vorherrschenden Wasserstand und auf die räumlichen Nutzungsbedürfnisse des angrenzenden Deichhinterlandes. Durchlässe in der Hauptdeichlinie speisen die vor der Hinterdeichlinie liegende Lagunenlandschaft durch die Gezeiten mit Meerwasser. Diese werden bei Sturmfluten geschlossen und die zweite Deichlinie dient als doppelte Sicherungslinie falls der Hauptdeich überspült werden sollte. Durch den gleichzeitigen Eintrag von Regenwasser entsteht eine schilfumwachsene, mit Brackwasser gefüllte Lagunenlandschaft mit angrenzenden Wiesen- und Weidenlandschaften. Charakteristisch für diese Landschaft ist ihr Abwechslungsreichtum und ihre reichhaltige Artenvielfalt.  

Das hinter den schützenden Deichlinien liegende regulierte Marschenland bleibt in seinem Charakter bestehen. Siedlungen und landwirtschaftliche Nutzungen sind weiterhin von der Tidedynamik unberührt. Die traditionelle Entwässerung des Landes erfolgt über Gräben und Siele. Flächige Landerhöhungen, für die im Lagunenland entnommenen Sedimente genutzt werden können, bieten einen zusätzlichen Schutz vor Sturmfluten und können das Absinken der Marschen kompensieren. In Form von landschaftlich gestalteten „Superdeichen“ kann ein weicher Übergangsraum zwischen den tief liegenden Marschenbereichen und den sie umgebenden Deichen geschaffen werden, der auch besiedelt und bewirtschaftet werden kann.

Vielfältige und multifunktionale Tidelandschaften

In der Vergangenheit galt der Leitspruch „Wer nicht will deichen, der muss weichen“– basierend auf einer Kultur des Widerstands gegen die Gewalten des Meers und der räumlichen Trennung. Durch die Folgen des Klimawandels gerät nun der Zustand der wilden Natur ebenfalls in Gefahr und das Wattenmeer droht unterzugehen. Das Zukunftsbild Wattenmeer entwirft angesichts veränderter klimatischer Bedingungen und gesellschaftlicher Anforderungen ein neues Paradigma: „Willst Du mit dem Wasser leben, lerne Raum den Fluten geben“ – basierend auf einer Kultur der Nutzung natürlicher Dynamiken und der räumlichen Anpassung. Die Einrichtung von Übergangsgebieten an der Schnittstelle zwischen Land und Meer stellt Wasserbauer, Landwirte, Ökologen, Landschaftsarchitekten, Stadt- und Regionalplaner vor vielfältige Aufgaben, die eine enge Zusammenarbeit erfordern. Das Zukunftsbild Wattenmeer entwirft eine neue Küstenlandschaft als erweiterte klimatische Pufferzone, die dem Schutz des Hinterlandes dient – und gleichzeitig vielfältige und abwechslungsreiche Nutzungs- und Gestaltungsmöglichkeiten ermöglicht: neue Formen von Naturtourismus und Wassersport, neue Formen der Landwirtschaft und Energieproduktion, neue Formen der Besiedlung.

|dynamisches Wattenland

|flexibles Lagunenland

05-07/2010 osp-urbanelandschaften

AUFTRAGGEBER: Michael Otto Stiftung, TEAM: Sabine Rabe, Burkhard Köhler, Gerko Schröder, Antje Stokman, Timo Thorhauer, Christiane Diehl